Ein blutige Arena, ein namenloser Held, und ein eitler König, der das Spiel der Macht genießt: Stephan Maximilian Gerts Kurzgeschichte zum Genre „Heldenroman“ öffnet die Tore zu einem epischen Spektakel. Legen Sie Ihre Rüstung an und lassen Sie sich von unserem Gastautoren in eine Welt voller Gefahren entführen.

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Steht man auf dem Berg Sinnwahn, der seinen Schatten über das namenlose Land wirft, und blickt nach Westen, erstreckt sich von den grünen Ausläufern des Berges eine trockene, nicht enden wollende Steppe. Ein Mensch mit guten Augen würde noch weiter in der Ferne den Anfang eines riesigen Waldes erkennen, der wie eine Mauer aus dem Boden schießt. Aus dem Zentrum dieses dunklen Waldes ragen vier schwarze Turmruinen in die Höhe, die einst die äußeren Begrenzungen von Tievrelnaat markierten, der größten und mächtigsten der vier Hauptstädte des Landes. Vor vielen Jahren ritt auf der Straße, die durch die Steppe führt, ein namenloser Held auf den Wald zu, um Tievrelnaat in Flammen zu setzen.

Die Hufe seines Pferdes schlugen laut auf das Pflaster und das Scheppern seiner rostigen Rüstung, auf deren Schulterstücken das Wappen der alten Welt in Form einer roten Krone zu sehen war, hallte über die Ebene, als er sich der Stadt näherte und in den dunklen Wald eintauchte. Er verfiel in einen leichten Trab, als er Geräusche hörte, die hinter der nächsten Biegung des Weges aus dem Forst kamen. Ein vielstimmiges Reden, Stöhnen und Weinen. Er wusste, dass er die Tore der Stadt erreicht hatte, stieg von seinem Pferd und führte es einige Meter in den Wald hinein. Nachdem er Rüstung und Waffen abgelegt hatte, machte der Namenlose sich zu Fuß, nur in die abgerissenen Kleider gehüllt, die sich unter seiner Rüstung versteckt hatten, auf den Weg in Richtung des Stimmgewirrs.

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Niemand bemerkte ihn, als er sich in die Prozession aus mageren, schmutzigen Menschen mischte, die durch das offene Tor von Tievrelnaat marschierte. Die Wachen, die den ganzen Zug begleiteten, achteten kaum auf ihre Gefangenen. Von diesen gebrochenen Menschen ging keine Gefahr mehr aus. Nachdem auch die letzten in die Stadt getrieben wurden, schloss sich das Tor hinter ihnen mit einem lauten Scheppern. „Das blutigste Spektakel der neuen Welt“, verkündete ein Banner mit dem Wappen der Königsfamilie Ekrau – ein schwarzer Hund auf gelbem Hintergrund –, das an den Mauern der runden Arena, in die die Gefangenen jetzt getrieben wurden, aufgehängt war.

Kurze Zeit später stand der namenlose Held in einer Zelle und konnte durch ein schmales, vergittertes Fenster auf den Kampfplatz in der Mitte der Arena blicken, deren Ränge bis auf den letzten Platz gefüllt waren. Er sah einen abgesperrten Bereich im mittleren Rang, wo ein Podest angebracht war, auf dem auf einem goldenen Thron eine massige Gestalt saß. „Willkommen, ihr Menschen aus der neuen Welt, die ihr hier seid, um dem kulturellen Ereignis des Jahrhunderts beizuwohnen! Und willkommen, ihr Tiere aus der alten Welt, die ihr den weiten Weg zu uns gefunden habt, um euren Wert in der Arena zu beweisen!“ Mit diesem Satz richtete sich die Gestalt auf dem Thron an fünf der Männer und Frauen, mit welchen der namenlose Held in die Stadt gekommen war und die jetzt in der Mitte der Arena standen. Sie waren alle bewaffnet und sahen sich gegenseitig verwirrt an. „Mein Name ist König Frytep Ekrau, ich bin euer Gastgeber. Um es kurz zu machen: Die Regeln sind dieselben wie in den letzten dreißig Jahren – wer viel tötet, wer fünfzig Gegner besiegt, der kann Teil unseres Reiches werden. Was mit dem Rest passiert, erklärt sich von selbst.“ Die Menge grölte, ein Horn wurde geblasen.

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Dann begannen die Schreie. Stundenlang hörte der Held dem Klirren von Waffen und dem Brechen von Knochen zu, bis er selbst in der Arena stand, zusammen mit vier seiner Mitgefangenen und einem hölzernen Übungsschwert, das er sich vom Waffentisch unter stählernen Schwertern, Morgensternen und Äxten hervorgezogen hatte. Der König nickte grinsend und das Horn wurde erneut geblasen, um das Zeichen zum Beginn des Kampfes zu geben.

Schon nach einer Minute war klar, dass dem namenlosen Helden niemand das Wasser reichen konnte. Seine Bewegungen waren präzise und rasend schnell. Jedes Mal, wenn sich ihm ein Kämpfer näherte, gab es ein Krachen und der Gegner landete entwaffnet im Staub. Obwohl der Kampf beeindruckend war, wurde die Miene des Königs zusehends finsterer und auch das Publikum, das bisher in einem Blutrausch gefangen war, wurde stiller. Der namenlose Held hatte alle seine Gegner in kürzester Zeit auf spektakuläre Weise ausgeschaltet, das einzige Problem dabei war, dass jeder einzelne von ihnen noch lebte.

„Dir ist klar“, rief der König von seinem Podest herunter, „dass du hier bist, um zu töten? Also töte gefälligst!“ Die Tore der Arena öffneten sich und weitere bewaffnete Gefangene betraten den Kampfplatz. Runde um Runde gewann der Namenlose und der König wurde zorniger und zorniger, denn kein Tropfen Blut floss. Nach dreißig Minuten waren fünfzig Gegner besiegt und eine erwartungsvolle Stille legte sich über das Schlachtfeld. Als ein einzelner Ruf aus den Rängen ertönte – „Er hat es geschafft!“ –, wurde die Stimme auf der Stelle vom König niedergebrüllt: „Nichts hat er geschafft!“ Er wälzte sich auf dem Thron umher und richtete seinen Blick auf den Namenlosen.

„Siehst du“, sagte der König, während er sich mit der rechten Hand abwesend auf den unerbittlich unter dem goldenen Brustpanzer hervorquellenden Bauch patschte, „die Sache ist die…“, er beugte sich vor und seine Augen verengten sich zu Schlitzen, „es geht hier um Öffentlichkeit, um das Werben für unser Reich in all seiner Pracht! Und das funktioniert natürlich am besten mit Veranstaltungen wie dieser!“ Mit einem weiten Schwenk seiner Rechten deutete der König auf das sie umgebende Fest, die betrunkenen Volksmassen und die Arena in der Mitte, während Wein aus dem Kelch in seiner Linken auf die ihn umgebende, mit Schwertern und Armbrüsten bewaffnete, Garde spritzte. Zustimmendes Gegröle kam von den Rängen hinüber, die letzten Worte hatte der König förmlich herausgebrüllt und seine Stimme donnerte weiter von dem Podest herunter. „Und wenn man jetzt im ganzen Land hört, dass das Fest in diesem Jahr schlechter war, dass es an Spektakel eher geschrumpft als gewachsen ist, was wäre dann?“ Er wartete keine Antwort ab. „Richtig! Es wäre schlecht für uns alle! Für mich, fürs Volk und sogar für dich! Und deswegen“, sprach er jetzt ganz leise weiter, während er sich wieder zurücklehnte und seine Mundwinkel leicht nach oben zuckten, „muss es einfach weitergehen.“ Ein lautes Rattern ertönte, als sich die zwei Tore der Arena erneut öffneten.

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Es folgte das Klappern von schweren Rüstungen und Waffen, dann betraten durch jedes Tor zehn Gefangene die Arena, die bis an die Zähne bewaffnet worden waren und den Helden einkreisten. Niemand hätte so viele Gegner besiegen können. Aber in ihren Augen konnte er es sehen. Er konnte sehen, dass er bereits gewonnen hatte. „Erschlagt diese Made! Wer mir seinen Kopf bringt, wird zum Sieger des Turniers ernannt!“ Niemand rührte sich, um den Namenlosen zu attackieren. Langsam beugte dieser sich hinunter und hob einen Speer auf, der zu seinen Füßen lag. „Tötet ihn! Tötet ihn endlich!“, schrie der König mit hochrotem Kopf, als der Arm des namenlosen Helden nach vorne schnellte und der Speer sich nur Zentimeter neben König Ekraus Kopf in den Thron bohrte.

Die Garde des Königs feuerte augenblicklich ihre Armbrüste ab und der namenlose Held brach, gespickt von Bolzen, in der Mitte der Arena zusammen. Eine Mischung aus Schock und Erleichterung stand im Gesicht des Königs und er lachte auf. „Na also!“ Aber sein Lächeln verschwand, als die Gefangenen erst zum gefallenen Helden blickten und sich dann in Richtung der Tribüne drehten. Der König sah etwas in ihren Augen, was ihm Angst machte. Die Gefangenen verstärkten den Griff um ihre Waffen und stürmten auf die Tribüne zu.

Hätte man am Abend dieses Tages vom Berge Sinnwahn über die Steppe, zum dunklen Wald gesehen, dann hätte man ein helles Leuchten erblickt und die hohen Flammen gesehen, die die Stadt auffraßen. Man hätte den Anfang eines Feuers gesehen, das sich über das namenlose Land ausbreiten würde.

© – Stephan Maximilian Gert

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Die Kurzgeschichte „Der letzte Schwerttanz“ entstand im Rahmen der novum Verlag Initiative für die Förderung und Inspiration von Schriftstellern über den novum Verlag Blog und die Blogrubrik #Wortwechsel. Wir bedanken uns bei Gastautor Stephan Maximilian Gert für seinen eindrucksvollen Beitrag.

Der nächste #Wortwechsel erscheint in Kürze (das Datum geben wir hier auf unserem Blog sowie auf unserer Facebook-Seite demnächst bekannt).

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